No. 03 Milde Psychopathen

Wäre es nicht ein verdammt gutes Gefühl, Erfolg zu haben in Situationen, in denen die Nerven anderer versagen? Was können wir von Heiligen, Anwälten und Serienmördern lernen. Milde Psychopathen Podcast – jetzt reinhören.

Seminar Dummy

Im Magazin DER SPIEGEL [1] gab es eine kurze, lesenswerte Rezension eines neuen Buches des Psychologen Kevin Dutton vom Magdalen College, Oxford University, mit dem Titel „Psychopathen. Was man von Heiligen, Anwälten und Serienmördern lernen kann“ [2]. Duttons Buch hat mit einer eher vernachlässigten Gruppe von Psychopathen zu tun. Mit ‚milden‘ (im Vergleich zu Serienmördern), beruflich erfolgreichen oder funktionellen Psychopathen. Der Titel unseres Podcasts ist also kein Verschreiber. Es geht wirklich um ´milde Psychopathen´ und nicht um ´wilde Psychopathen´. Zu Letzteren gehört unter anderem der fiktive Hauptdarsteller Hannibal Lecter aus Thomas Harris´ Roman „Schweigen der Lämmer“.  Zu den milden Psychopathen gehören meist Persönlichkeiten, die sich in einem sehr wechselhaften und herausfordernden Umfeld erfolgreich behauptet, in dem gewöhnlichen Zeitgenossen zumeist die Nerven versagen. Manager, die einige Milliarden versenken, unverdrossen nach Hause gehen und nicht mehr daran denken. Ein normaler Mensch würde sich danach eher auf einer Toilette einschließen und sich übergeben. Überraschend ist, dass im Ranking ´milder Psychopathen des Psychologen Scott Lilienfelds von der Emory University, Atlanta  [3] John F. Kennedy und Bill Clinton vordere Plätze einnehmen. Dazu später mehr. 

Wenn wir nicht schon Psychopathen sind, könnten wir es schnell werden. Ein kleines Experiment: Dutton hat das gemacht, was in der Medizin und Psychologie eine lange Tradition hat – Selbstversuche. Ob Werner Forßmann, der sich in 1929 den ersten Katheder in die rechte Herzkammer schob oder Sigmund Freud, der sich unter dem Einfluss von Kokain analysierte. Dutton ließ seinen Kopf fixieren und einem elektromagnetischen Feld aussetzen. Er verspürte nach kurzer Zeit „die ersten Anzeichen einer subjektiven moralischen Arroganz“ [1, S.111]. Während der Betrachtung eines Videos mit grausamen Inhalten schlug sein Herz ruhig. Dutton dazu: „Um ehrlich zu sein, [fiel] es mir schwer, ein Lächeln zu unterdrücken.“ [1, S.111].

Psychopathen können Menschen misshandeln wie „normale“ Menschen eine Weihnachtsgans tranchieren, sagt der emeritierte kanadische Psychologieprofessor Robert Hare. Hare hat um 1980 einen Test entwickelt, mit dem sich kriminelle Psychopathen, die aufgrund ihrer Taten inhaftiert wurden, identifizieren lassen [4].  Forscher vermuten, dass diese einen kleinen Teil aller Psychopathen ausmachen. Anders als ihre schwerkriminellen Pendants zerstückeln ´milde Psychopathen´ niemanden, sondern machen besonders erfolgreich Karriere. Wobei nicht alle, die erfolgreich Karriere machen, Psychopathen sind. Zum Glück. Mit ihnen gemeinsam haben sie allerdings eine weitgehende oder vielleicht völlige Furchtlosigkeit und Gefühlskälte. Diese ´erfolgreichen Psychopathen´ treten äußerst selbstbewusst auf, mit meist geringem Selbstzweifel. Diese Einstellung verspricht eigentlich ein eher sonniges Leben mit großem Wohlbefinden. Umgeben von Bewunderern und Neidern. Bewunderer, die ihrem Charme erliegen.  Hare sprich von einem Charme ähnlich dem George Clooneys. Gewöhnlich wird Psychopathen ein Mangel an Empathie attestiert. Wie können sie dann andere manipulieren? Dutton vermutet, dass sie im Gesicht ihrer Gesprächspartner winzige, nicht bewusst zu steuernde Bewegungen der Gesichtsmuskeln – Mikroausdrücke – wahrnehmen, welche die wahre Verfassung der Gesprächspartner offenbaren und die es dem Psychopathen erlauben, sie zu seinem eigenen Vorteil zu instrumentalisieren.  [Offenkundig besitzen die „milden/ erfolgreichen“ Psychopathen] Fähigkeiten, die sie sowohl von ihren kriminellen Artgenossen als auch vom Rest der Bevölkerung unter-scheiden. Zwar sei für sie, wie für alle Psychopathen, die Belohnung oder ein Kick die wesentliche Triebfeder des Handels. Doch zugleich, so Dutton, können sie weit besser als andere Menschen ihre Aufmerksamkeit messerscharf auf eine vor ihnen liegende Aufgabe richten und „und alles gnadenlos herausfiltern. [1, S.113]“.

Hares Checkliste für Psychopathen[4]: Haben Sie vielleicht einen Kollegen oder einen Chef, der

  • Menschen nur danach einschätzt, was sie für ihn tun können?
  • anderen erfolgreich die Schuld für die eigenen Fehler in die Schuhe schiebt?
  • die Beförderung bekommt, die andere verdienen?
  • so kalt und ohne jedes Gefühl handelt, dass Ihnen angst wird?

Dann könnten Sie es mit einem Psychopathen zu tun haben. Sie werden sagen, so viele wird es schon nicht geben. Nach Babiaks und Hares Schätzung ca. 1 %. Ein Freund arbeitet zur Zeit in einem Unternehmen mit 120.000 Mitarbeitern. 1.200 Psychopathen könnten ihm während seiner Karriere im Wege stehen. Nicht wenig.

Welche Berufsgruppen bieten Psychopathen ein besonders geeignetes Biotop? Dutton startete für sein Buch eine breit angelegte Untersuchung, um herauszufinden, in welchen Berufsgruppen Psychopathen überwiegend Fuß fassen. Die vorderen Plätze belegen Firmenchefs und Anwälte. Chirurgen landen auf Platz vier. Geistliche auf Platz acht. Psychopathen entfalten sich vor allem dort, wo es dynamische Machtstrukturen gibt, die sie kontrollieren und manipulieren können. Das gilt natürlich auch für Kirchen. Ich vermute, dass der Vatikan für sie eine besonders attraktive Location ist. Vielleicht ziehen im Augenblick besonders exponierte Namen der Finanzmarktkrise an Ihnen vorbei. Namen wie der des Börsenmaklers Bernard Madoff oder des letzten Chefs von Lehman Brothers, Richard Fuld. Drei bis vier Prozent der erfolgreichen Führungskräfte gehören ebenso dazu sagt ein SPIEGEL- Videoclip [5]. 

Psychopathic Personality Inventory – eine Persönlichkeitsbegutachtung der milden Psychopathen. Der Psychologe Scott Lilienfeld bat 121 Experten sich eingehend mit einigen mächtigen Männern im Rahmen eines umfangreichen Fragebogens  zu befassen. Lilienfelds Test ist zugeschnitten auf Psychopathen, die keine Verbrechen begangen haben. Auf vorderen Plätzen landeten zwei Präsidenten, die für ihre Wähler das bessere Amerika verkörpern: Bill Clinton und John F. Kennedy. Beide teilten einen promisku-itiven Lebensstil und verfügten über ein scheinbar unerschöpfliches Charisma. Kennedy, ein gesundheitlich schwer angeschlagener Mensch, verkörperte für die Bevölkerung das Bild eines kraftstrotzenden Tatmenschen, der in der Kuba-Krise die Nerven behielt und möglicherweise einen dritten Weltkrieg verhinderte. Sehen Sie sich die Top-8 aus Lilienfelds Ranking an und lassen sich dabei ein Zitat des Sektenführers Bhagwan auf der Zunge zergehen, der seinen Jüngern Bescheidenheit predigte und für sich selbst anstrebte, für jeden Tag des Jahres einen anderen Rolls-Royce zu besitzen. Bhagwan: „Fünf Prozent der Menschen sind intelligent, die restlichen 95 Prozent sind unsere Anhänger.“

Topp-Ranking funktioneller Psychopathen nach Lilienfeld:

  1. Präsident Bill Clinton, 1998
  2. Präsident John F. Kennedy
  3. Ex-Elitesoldat Andy McNab, 2005
  4. Terrorist Andreas Baader, 1963
  5. Boxer Sugar Ray Leonard
  6. Guru Bhagwan, 1985
  7. Apple-Gründer Steve Jobs, 2002
  8. Spekulant Bernard Madoff, 2009
  9. Banker Richard Fuld, 2008

1] DER SPIEGEL, Frank Thadeusz, Raubtiere ohne Ketten 16/ 2013, S. 111 ff
2] Deutscher Taschenbuch Verlag, München; 2013; 320 Seiten; 14,90 Euro
3] Professor at Emory University, Department of Psychology, Neuroscience and Behavioral Biology, Atlanta GA, Academic Interests in personality disorders, psychopathic personality and criminality, anxiety disorders and psychiatric classification and diagnosis
4] Maly, Hartwig; Psychopathen im Management, Blog shapingalphapower.wordpress.com; 2010; https://shapingalphapower.wordpress.com/2010/08/08/psychopathen-im-management/
5] Video-Clip zum Spiegel-Artikel Raubtiere ohne Ketten,
 http://video.spiegel.de/flash/1265745_1024x576_H264_HQ.mp4

Aktienhändler ähneln PsychopathenWarum verspielen einzelne Trader immer wieder Milliarden? Für eine Studie hat die Universität St. Gallen Aktienhändler und Psychopathen verglichen. Selbst die Experten waren vom Ergebnis überrascht. Sie bescheinigen den Börsenprofis einen immensen Hang zur Zerstörung.

Warum verzocken Aktienhändler wie der vor zwei Wochen aufgeflogene Londoner UBS-Händler Kweku Adoboli bisweilen Milliarden? Was läuft da schief in den Banken, aber vielleicht auch bei den jungen Profis? Sie verhalten sich jedenfalls noch rücksichtsloser und manipulativer als Psychopathen – zu diesem Ergebnis kommt nach SPIEGEL-Informationen eine neue Studie der Universität St. Gallen.

Untersucht wurden Kooperationsbereitschaft und Egoismus von 28 Profi-Tradern. Die Probanden mussten Computersimulationen durchspielen und sich Intelligenztests unterziehen. Das Ergebnis übertraf laut dem Bericht des Nachrichten-Magazins die Erwartungen des Teams um Pascal Scherrer und Thomas Noll, Forensiker und Vollzugsleiter des Schweizer Gefängnisses Pöschwies nördlich von Zürich.“ Natürlich kann man die Händler nicht als geistesgestört bezeichnen“, zitierte das Blatt Noll, „aber sie verhielten sich zum Beispiel noch egoistischer und risikobereiter als eine Gruppe von Psychopathen, die den gleichen Test absolvierten.“

Quelle: Vgl. manager magazin, Studie vergleicht Händler mit Psychopathen, 23. Oktober 2011
Detailliertere Information in der Neuen Züricher Zeitung, Städeli, M., Destruktive Dynamik im Handelsraum, 23. Oktober 2011

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